Volksstimme vom 05.04.2016:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rügt Situation an kommunalen Grundschulen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht die Funktionsfähigkeit der Magdeburger Grundschulen in Gefahr – wegen Raummangels und zu großer Klassen. Der Oberbürgermeister weist den Vorwurf verfehlter Schulplanung zurück.
Vielfach hat die Volksstimme in den vergangenen Monaten über das Problem überlasteter Grundschulen in Magdeburg berichtet. Wegen weiter steigender Schülerzahlen ab dem 13. August (Einschulung) und der Zuwanderung von Flüchtlingskindern verschärft sich die Lage, so dass der Stadtrat Ende Februar einem Notzuschnitt der Schuleinzugsbereiche zugestimmt hat, um einzelne Schulen vor einem allzu großen Abc-Schützen-Ansturm zu bewahren.
Jetzt meldet sich die Lehrergewerkschaft GEW zu Wort und listet in einem dreiseitigen Brandbrief an die Volksstimme die Verfehlungen und Risiken der Magdeburger Schulplanung aus ihrer Sicht auf. „Die Berechnungszahlen der Stadt für Klassenstärken werden den Ansprüchen einer modernen und handlungsfähigen Schule in der heutigen Zeit nicht gerecht“, rügt der Vorstand des GEW-Kreisverbandes. „Nicht nachvollziehbar“ sei die vom Oberbürgermeister und vom zuständigen Bildungsbeigeordneten ins Feld geführte Zahl von 9000 Schülern als maximale Aufnahmekapazität der 31 kommunalen Grundschulen, die von der Anzahl allgemeiner Unterrichtsräume bei 28 Schülern pro Klasse abgeleitet sei. Der vom Land einst als maximale Obergrenze ausgegebene Klassenteiler von 28 entspreche „nicht mehr der Realität einer funktionierenden Grundschule“, weshalb heute eine „mittlere Frequenz“ von 22 Schülern je Klasse empfohlen wird.
Die Gewerkschaft verweist auf vier besondere Herausforderungen, die heute jede Grundschule zu bewältigen habe:
- Die Heterogenität der Einschüler, ihre Entwicklungsunterschiede von bis zu fünf Jahren. Während der eine Abc-Schütze bei Schulstart schon lesen und schreiben könne, gelinge es dem anderen nicht, einen Stift richtig zu halten.
- Die Inklusion: „Immer mehr Kinder mit Lernschwächen, Sprachstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und anderen Entwicklungsverzögerungen werden in den Grundschulen unterrichtet.“
- Die Beschulung von Kindern mit Migrationshintergrund ohne Deutschkenntnisse.
- Die Größe vieler Klassenräume lasse eine Beschulung von mehr als 20 Kindern gar nicht zu.
Die Gewerkschafter schreiben: „Diese Fakten zu ignorieren, hätte fatale Auswirkungen auf die Lernentwicklung aller Schüler, auch die der leistungsstarken! Kein Lehrer kann 28 Kinder mit den oben genannten Unterschieden optimal auf die weitere Schullaufbahn vorbereiten. Das ist unmöglich!!!“
Die Forderung des GWE-Kreisvorstandes heißt: 20 Kinder pro Klasse. Realistisch könnten die vorhandenen Schulen dann etwa 6000 Kinder aufnehmen. „Magdeburg hat damit seine Kapazität in den Grundschulen längst erreicht“, attestiert der GEW-Kreisvorstand.
Oberbürgermeister Lutz Trümper macht, von der Redaktion mit dem GEW-Brandbrief konfrontiert, eine andere Rechnung auf. Er sagt: „Aktuell haben wir in 31 kommunalen Grundschulen genau 6260 Schüler in 307 Klassen. Das sind im Durchschnitt 21 pro Klasse.“ Allerdings, das räumt das Stadt- oberhaupt ein, variiere die Zahl von Standort zu Standort teils beträchtlich, „meist zwischen 16 und 24 Schülern pro Klasse, in der Spitze aber auch bis 28“. Trümper verweist auf die noch recht neue Empfehlung aus dem sachsen-anhaltischen Kultusministerium. „Bis 2015 galten in Grundschulen 28 Schüler pro Klasse als Obergrenze. Per Erlass empfiehlt das Land nun die mittlere Klassenstärke von 22.“ Die aktuelle Schulplanung in Magdeburg basiere auf einer Klassenstärke von 25 und fußte noch auf der alten 28er-Regelung. Trümper: „Da habe ich damals gesagt, wir nehmen 25 und sind auf der sicheren Seite.“
Trümper: 20 Schüler pro Klasse sind „illusorisch“
Die auch von Trümper in die Debatte geworfene maximale Aufnahmekapazität von 9000 Grundschülern in den bestehenden Gebäuden basiert auf der rein theoretischen Annahme, dass 28 Schüler in jeder Klasse sitzen. Der 25er-Planungsschlüssel lässt laut Trümper maximal die Beschulung von 7800 Kindern in den 31 Grundschulen zu. Prognosen des Fachbereichs Schule/Sport der Stadtverwaltung sagen für das Schuljahr 2016/17 rund 7200 Grundschüler in Magdeburg voraus und einen Anstieg auf knapp 7900 bis 2019/20. Das Stadtoberhaupt sieht aktuell dennoch „keinen dringenden Bedarf“ für Grundschulneubauten, räumt aber „Überlegungen“ für einzelne Standorte ein.
Die GEW-Forderung nennt Trümper „vollkommen illusorisch“: „Ich kann nicht hingehen und plötzlich nur noch 20 Kinder pro Klasse fordern. Dann müssten wir 20 neue Schulen bauen.“ Trümper verweist auf rund 300 Millionen Euro, welche die Stadt in den vergangenen sechs, sieben Jahren in die Schulen investiert habe, „und die nächsten 100 Millionen sind schon geplant“. Die weitere Planung, so Trümper, sei abhängig von der Frage, ob die Einzugsbereiche für Grundschulen beibehalten werden. „Wenn wir sie aufheben, verkleinert sich das Problem“, so Trümper. Im Zweifel würden Schüler dann per Los aus überfüllten Schulen in andere – irgendwo in der Stadt – umdelegiert. Die Enge an Grundschulen bleibt ein akutes Problem. Der Stadtrat hat die Verwaltung bereits beauftragt, neue Grundschulen zu planen.
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